Freitag, 3. Juni 2011

Wach auf, Argentinien!

Wach auf, Wetzlar!
Wach auf, Augsburg!

Dieser Artikel war heute in der WNZ.
Und dieser in der Gießener Allgemeinen.
Wenn man die liest, fühlt man sich zugegebendermaßen ganz schön gut, wenn man seinen Teil zu dieser Vorstellung beigetragen hat.

Wir haben seit Anfang des Schuljahres auf diese Premiere hingearbeitet. Wir haben die Lieder geprobt. Wir haben die Szenen gestellt und zum Teil sehr kurzfristig noch einmal geändert. Ich habe einige Kostüme genäht und bin zum Teil wochenlang Leuten aus dem Ensemble hinterhergelaufen, bis sie Kostüme hatten.
Die 40 Darsteller mussten geschminkt und frisiert werden.
Das letzte zerknitterte Hemd wurden am Tag der Premiere gebügelt und Krawatten wurden gebunden (besonders große Herausforderung ;)).



Eigentlich war ich erst mal gar nicht so aufgeregt.
Ich habe am Dienstag zuerst dem Petticoat für das Regenbogen-Tour-Kleid einen Gummibund verpasst. Dann habe ich meine Sachen eingepackt - Essen, Trinken, Kontaktlinsen, den Petticoat, eine schwarze Bluse usw. - und bin mit dem Zug nach Wetzlar gefahren.
In der Stadthalle angekommen, habe ich meine Sachen an meinem Platz angeladen und den Petticoat mit Sicherheitsnadeln im RBT-Kleid befestigt, da sich in den Proben gezeigt hat, dass in der Szene zu wenig Zeit ist, beides nacheinander anzuziehen.
Dann bin ich sofort in die Maske, um mich schminken und später frisieren zu lassen.
Und irgendwie bin ich dann den ganzen Tag herumgelaufen und war relativ beschäftigt.
Irgendwie sogar so beschäftigt, dass ich meine versprochene Massage vergessen habe, die eigentlich echt nötig gewesen wäre...
Und dann standen wir alle zusammen zum Einschreien in der Männerumkleide. Links Annas Hand in meiner, rechts Michas - und dann ging es los. Auf einmal fing mein Herz an, schneller zu schlagen und ich wurde richtig aufgeregt.
Nach dem Einschreien und Einsingen ging es dann auch schon los: Alle auf die Bühne!
Wir sitzen im Kino und sehen einen Film mit Evita - und dann erfahren wir, dass sie gestorben ist.

Kaum, dass der Vorhang aufgeht, ist alles vergessen: die Müdigkeit, die blauen Flecken, der verspannte Rücken, die schmerzenden Füße, die Splitter in meinem Arm.
Ich bin nicht mehr Johanna, ich bin eine Argentinierin, die erst im Kino sitzt und dann von einem ganz schön bösen Geheimpolizisten niedergeschlagen wird, wobei ich meinen Hut und einen meiner Schuhe verliere.
Nachdem wir alle mit einem "Salve regina" wieder auferstanden sind, erscheint Evita, unser aller Idol: Und sie strahlt und ist einfach nur wunderschön.

Danach habe ich erst mal eine Weile nichts zu tun.
In den Katakomben der Stadthalle helfe ich Phil beim Anlegen seiner Fliege und knote seinen gerissenen Schnürsenkel zusammen, damit er als Portier in Buenos Aires die 15-jährige Eva empfangen kann. Dann kann ich mich selbst in aller Ruhe in mein Adelskostüm werfen und mich mit meinem tollen Sonnenschirm für meine nächste Szene bereitmachen.
Schließlich trete ich in der vorletzten Szene des ersten Aktes zusammen mit den anderen sieben Adeligen, sieben Offizieren und Che wieder auf die Bühne.
"FORT mit diesem Weib!"
Im Anschluss habe ich ein ganz kleines bisschen Zeit, mich komplett umzuziehen und wieder in einer völlig anderen Rolle auf die Bühne zu kommen für das umwerfende Finale des ersten Aktes:
WACH AUF, ARGENTINIEN!
Noch wenige Tage vorher fand ich dieses Lied nicht so umwerfend. Beim Marschieren wollte trotz aller Bemühungen keine wirkliche Spannung aufkommen (ich war zu sehr damit beschäftigt, den richtigen Arm zum Bein mitzunehmen). Jetzt dürfen wir uns die Seele aus dem Leib schreien und sind mit allen Sinnen dabei, wenn wir ein neues Argentinien, Investitionen des Staates auf dem Arbeitsmarkt usw. fordern. Es macht so Spaß, mit dem gesamten Ensemble auf der Bühne zu stehen und einfach zu rocken! Und unseren verdammt hohen Sopran 1 zu singen :D

In der Pause muss ich dann erst mal meinen Sonnenschirm unter einer Tür herausziehen. Irgendjemand hat mit Gewalt die Tür aufgemacht und dabei den Schirm darunter eingeklemmt. Dann ging die Tür nicht weiter auf und derjenige war verschwunden. Na toll, danke -.- Aber glücklicherweise konnte ich den Schirm, den immerhin meine Oma in Handarbeit selbstgemacht hat, unversehrt retten.

Immerhin muss ich mich in der Pause nicht umziehen. Ich kann etwas trinken (was dringend nötig war) und glücklich Martins Urteil hören: "Der erste Akt war eine 2+". Das motiviert und macht Lust auf den zweiten Akt.


Der beginnt mit dem bekanntesten Lied des Musicals: "Wein nicht um mich, Argentinien".
Eine anstrengende Szene, in der wir als Ensemble fast nur im Dunkeln hinter dem Geschehen stehen. Wir singen zuerst "Perón! Perón! Perón!" und wechseln dann zu "Evita! Evita! Evita!". Wenn Evita dann erscheint, schweigen wir bis auf ein kurzes Summen. Knapp 8 Minuten einfach nur stehen. Das ist hart. Und es wird erst mal nicht leichter: Mit "Evita Perón! La santa Peronista!" beginnen wir, auf sie zuzukriechen, was, wenn man einen Rock trägt, nicht ganz einfach ist. Wie eine Menschenwoge oder ein Kleid aus Menschen schmiegen wir uns um Evita.
Die nächste Ensembleszene (die diesmal nicht ganz so lange auf sich warten lässt wie im ersten Akt) ist die Regenbogentour. Wir stehen hinter einem roten Absperrseil und empfangen Evita in Spanien jubelnd. In Italien bin ich dann schon gelangweilt, stehe mit einigen anderen Mädchen am Rand und unterhalte mich mit ihnen über unsere Kleider und Accessoires. Doch dann ruft ein Attentäter: "Hure!" und unsere Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf das Geschehen in der Mitte. Der Attentäter wird durch die Menge gestoßen und ich schleppe ihn heraus.
Hinter der Bühne verwandeln sich der Attentäter und ich in kürzester Zeit in adelige Damen. Wir laufen hinter der Bühne auf die andere Bühnenseite, damit wir zum nächsten Lied aufgehen können.
"Diese Frau ist ein Skandal" singen wir, während wir tanzen. Im Augenwinkel sehe ich, wie Anna, unsere Evita, den Tellerrock des RBT-Kleides herumwirbelt. Sie schiebt uns wie Spielfiguren an den Platz, wo sie uns haben will und dort stehen wir mit erhobener Hand, bis das nächste Lied anfängt. Wir werden unseres Geldes entledigt, damit die "Spendengelder fließen" können. Beleidigt gehen wir ab und haben wieder extrem wenig Zeit, uns von Adeligen in Evita-Anhänger zu verwandeln, wenn wir als Frauenchor auftreten und "Santa Evita" singen. Die Männer müssen sich nicht so sehr hetzen und können sich nützlich machen, indem sie uns die Kleider aufmachen.

Dann beginnt Evita zu sterben.
Und obwohl wir Anfang des Jahres alle dachten, wir wären froh, wenn diese Frau endlich tot ist, geht es zumindest mir so, dass ich eher traurig als schadenfroh bin. Irgendwie ist unsere Evita deutlich sympatischer als die Evita im Film.


Evita ist tot. Das Musical ist vorbei.
Das Ensemble verbeugt sich, dann die Tanzgruppe, die Adeligen, die Offiziere, Magaldi und Mistress, Che und Perón und schließlich Evita. Requisite, Technik, Orchester, Kreativteam (wobei ich als Kostümchefin auch noch mal mit darf) und das Orgateam. Ich und wahrscheinlich auch alle anderen können nicht anders als zu strahlen. Es war einfach toll!
Dann dürfen wir noch einmal "Wach auf, Argentinien" als Zugabe singen. Ist nicht ganz so cool wie "Einer für alle" mit gekreuzten Rosen - aber fast. :D


Nachdem der Adrenalinrausch etwas abgeebbt ist, spüre ich wieder die Anstrengungen der letzten Tage. Die schweren Beine, die blauen Flecken, den verspannten Rücken.
Trotzdem bin ich noch zwei Tage aufgedreht und hundemüde zugleich :D


Ich freue mich auf alle weiteren Vorstellungen mit dieser tollen Truppe.

Wach auf, Argentinien!

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