Mittwoch, 10. August 2011

Die Augsburg-Affäre, oder: Meine Sicht der Dinge

Die Musicalgruppe hatte ein Gastspiel auf der Freilichbühne Am Roten Tor in Augsburg.
Was als tolle Möglichkeit und große Chance begann, endete darin, dass erboste Zuschauer vom Veranstalter ihr Geld zurück fordern.

Was ist passiert?


An dieser Stelle schildere ich meine Sicht der Dinge und wie ich als Teil des Ensembles das Gastspiel und die Reaktionen darauf erlebt habe und erlebe. Ich hoffe, dass ich dabei wenigstens etwas sachlicher bleiben kann als einige der Menschen, die in der Anonymität des Internets unsachliche Kritik geäußert haben.

Zu allererst muss ich sagen:
Ich verstehe die empörten Reaktionen des Publikums.
In der Werbung für die Aufführungen von EVITA (die ich nur aus der Erinnerung wiedergeben kann, da die entsprechende Internetseite nicht mehr zu finden ist) war die Rede von "hundert Künstlern" und der Darbietung "in deutscher Muttersprache". "Wegen sensationeller Nachfrage" habe eine zweite Vorstellung angesetzt werden müssen. Lediglich auf besagter Internetseite gab es eine Anmerkung, aus der man hätte ableiten können, dass es sich um eine Amateurgruppe handelt. Da die meisten Zuschauer diese Seite wohl nicht besucht haben, hatten sie diese Information nicht.
Wenn man nun in der Erwartung, eine professionelle Produktion zu sehen, voller Vorfreude auf den ca. 30-50€ teuren Plätzen sitzt und dann sieht, wie ein Ensemble von knapp 40 Leuten im Alter von 16 bis 24 Jahren die Bühne betritt, kann man sich völlig zu Recht betrogen fühlen. Mir wäre es vermutlich nicht anders ergangen.

Wir kommen mit allen zusammen - Ensemble, Orchester, Requisite, Technik, Maske, Regie, Orga - vielleicht gerade auf hundert Leute. Bei der Ankündigung von "hundert Künstlern" würde ich erwarten, wenigstens fast hundert Leute auf der Bühne zu sehen (und nicht nur beim Verbeugen).


Ich bin ein Teil dieser Gruppe. Ich bin ein Teil dieses jungen Ensembles, dem man einfach ansieht, dass die wenigsten von uns überhaupt alt genug sind, eine Profi-Ausbildung haben zu können.
Und ich finde, wir machen als Gruppe eine richtig gute Arbeit in allen Bereichen. Aber wir sind eben "nur" Amateure.
Und obwohl ich uns so toll finde, würde ich keine 50€ für eine unserer Aufführungen bezahlen.


Ich gestehe jedem zu, eine eigene Meinung zu unserer Inszenierung oder unserer Leistung zu haben. Die Geschmäcker sind verschieden.
Ich verstehe auch, wie gesagt, die Empörung.
Aber selbst wenn man etwas schlecht findet, sollte man objektiv und vor allem bei der Wahrheit bleiben.

Besonders die erste Kritik, die wir zu Gesicht bekamen (abgesehen von einem Zeitungsartikel, der für uns nicht schmeichelhaft ist, sich aber hauptsächlich gegen den Veranstalter richtet), tat beides leider nicht. So ist dort zu lesen:

"Wir erlebten eine Disharmonie ohne gleichen. Die Kapelle spielte sowas von Schräg, dass es den Ohren schon weh tat. Der Chor und auch die Hauptdarstellerin sangen nicht, sie kreischten.Einziger Höhepunkt war, als ein Geheimpolizist einen Aufständischen erschoß. Der Aufständische fiel wie vom Blitz getroffen zu Boden, der dazu gehörende Schuß aus der Pistole löste sich aber erst ca. 3 Sekunden später.

In der Pause gingen dann ca. 1/4 der Leute, darunter auch wir frustriert von dannen !!"

Ich bin kein Profi, was Musik angeht und habe kein absolutes Gehör oder sonstigen Luxus. Aber ich habe einen meiner Meinung nach relativ gesunden Menschenverstand. Und der sagt mir, dass, wenn wir alle kreischen oder die Musiker "schräg" spielen würden, das wohl auch in Wetzlar schon jemand gemerkt und gesagt hätte.
Diese Aussagen mag man noch der Empörung nach der Vorstellung zuschreiben, aber anderes ist einfach sachlich falsch.
Die angesprochene Situation mit dem zu spät gefallenen Schuss ist auch uns aufgefallen. Das möge uns verziehen werden. Abgesehen davon läuft auch bei Profis nicht immer alles hundertprozentig glatt.
Doch der, der dort erschossen wurde, war kein Aufständischer, sondern ein Offizier, was man an der Uniform hätte erkennen können.
Bei der angesprochenen Vorstellung waren fast 2000 Menschen im Zuschauerraum. In der Pause begann es zu regnen und einige Zuschauer verließen (ob wegen des Regens oder der enttäuschten Erwartung, sei dahingestellt) die Vorstellung. Ein Fehlen von etwa 500 Personen (was "ca. 1/4 der Leute" wäre) wäre uns aber sicher aufgefallen.


Die Augsburger Allgemeine hat in den letzten Tagen mehrere Artikel veröffentlicht, die sich mehr und mehr gegen den Veranstalter wenden.

So wird uns hier noch "dürftige Qualität" vorgeworfen und Zuschauer zitiert, die meinen, bei uns kein Musical gehört zu haben.

Hier klingt es schon nicht mehr so verärgert: es wird klar gestellt, dass wir nichts dafür können, wie der Veranstalter Roland Halbauer unsere Vorstellungen beworben hat.

In einem Kommentar werden "Zweifel an der Redlichkeit" des Veranstalters laut: Halbauer habe die Annahme, die Aufführungen würden von Profis bestritten, in Kauf genommen. Der Autor findet deutliche Worte: "Der Gipfel nun ist, als Veranstalter den Schülern den Schwarzen Peter zuzuschieben, indem ihnen mangelnde Qualität angelastet wird. Der Maßstab für Schülertheater ist Schülertheater."

Im Artikel mit dem Titel "Wirbel um Evita-Produktion: Ärger richtet sich gegen Veranstalter" kommt neben erbosten Zuschauern auch dieser zu Wort.
Eine Zuschauerin äußert, sie habe sich "teilweise die Ohren zugehalten, weil ich es nicht mehr ertragen habe". Ein hartes Urteil für uns, doch sie sagt auch, dass man von Schülern eben keine Profi-Darbietung erwarten kann. Ihrer Meinung nach muss "Halbauer ... sehr kritisiert werden".
Eine zweite Zuschauerin fragt ebenfalls, was dieser dich wohl dabei gedacht habe. "Ein derartiges Trauerspiel mit einem ebensolchen lieblosen und dürftigen Bühnenbild hat unsere Freilichtbühne wahrlich nicht verdient."

An dieser Stelle muss ich mich allerdings die Frage einwerfen, ob es die Freilichtbühne "verdient" hat, dass die Spinnweben über den Toren auf der Bühne offensichtlich schon seit geraumer Zeit nicht mehr entfernt wurden.
Und ob das "dürftige Bühnenbild" nicht bei einer professionelleren Produktion als "Minimalismus" gepriesen und dafür gelobt worden wäre, die wirklich sehr schöne Freilichtbühne in sich wirken zu lassen.

Halbauer äußert, für ihn sei die Qualität einer Gruppe wichtig. "Nur weil es Schüler seien, heiße das ja nicht, dass es sich dabei um keine professionelle Gruppe handele." Ich persönlich kann das leider nicht als Kompliment nehmen, denn im nächsten Absatz heißt es: "Gesehen hat der die Produktion selbst nie. „Ich weiß nicht, was nun in Augsburg passiert ist“, fährt er fort. Er schaute der Musicalgruppe nicht selbst zu. Halbauer vermutet, dass etwas schiefgelaufen sein muss."
Wie er dann das Urteil abgeben kann: "Das Ensemble hat schlechte Qualität geliefert", ist mir ein Rätsel.
Weiter heißt es: "Die Musicalgruppe Wetzlar, mit der er sich vor den beiden Terminen weiterhin eine Zusammenarbeit hätte vorstellen können, werde er in Zukunft nicht mehr engagieren."
An dieser Stelle kann ich mir das EVITA-Zitat nicht verkneifen: "Verzeih, dass ich lache, wenn ich so was höre..."
Ich glaube kaum, dass jemand aus unserer Gruppe das gesteigerte Bedürfnis hat, noch einmal mit Roland Halbauer in irgendeiner Form zusammen zu arbeiten.

Halbauer berichtet, er habe den zweiten Aufführungstermin einrichten müssen, "weil die Gruppe darauf bestanden habe, zwei Mal in Augsburg zu spielen".
Ich kann natürlich nur von mir sprechen, aber ich habe das Gastspiel in Augsburg als eine Erfahrung gesehen, die nicht viele machen können. Ich für meinen Teil wäre niemals auf die Idee gekommen, in irgendeiner Form Forderungen zu stellen. Als ich die Information bekam, es werde eine zweite Aufführung geben, war der Grund noch die große Nachfrage nach Karten...

Im neuesten Artikel ist dann gar nicht mehr die Rede davon, dass wir schlecht gewesen wären. Lediglich der Unterschied zwischen erwarteter Profi- und erschienener Schülergruppe wird erwähnt.
Mehrere Zuschauer kündigen an, ihr Geld zurückfordern zu wollen - und notfalls gegen Halbauer vor Gericht zu ziehen.
Im gleichen Artikel sind ähnliche Fälle aus den vergangenen Jahren zu lesen: Immer war Halbauer der Veranstalter, immer versprach die Werbung mehr, als am Ende zu sehen bzw. zu hören war.


In den Foren der Augsburger Allgemeinen wird heiß diskutiert.

"BliBlaBlubp" schreibt: "Aber ist dies nicht Schuld des Veranstalters? Was kann eine Laiengruppe für die Fehlinformation des Veranstalters? Ich habe das Stück auch gesehen und die 48€ gezahlt. Als ich gesehen habe wie jung die Darsteller waren war mir bewusst, dass ich diese Leistungen auch als solche zu würdigen habe. Und dafür, dass es Schüler waren haben sie mehr als nur ein Brett durchbohrt!"

"bumba" meint: "49,00 euro für eine jugendtheatergrupppe ist wohl der hammer. der veranstalter ---- wer immer es ist ---sollte die courage haben dies einzugestehen und die hälte der einnahmen einem sozialem zweck spenden."

"theaterfreund71" ist unser großer Verteidiger: "Wir müssen uns nichts vormachen: Wir haben auf Augsburgs Bühnen schon viel schlechteres (für gleiches oder mehr geld) gesehen und uns weniger aufgeregt. Mir tut es leid für die Schülerinnen und Schüler, die hier für den gewinn des Veranstalters ausgebeutet wurden - ich kann mir nicht vorstellen, dass sie viel von den 48€ zusehen bekommen."
Außerdem hat er/sie recherchiert und auf der Homepage der Musicalgruppe die AGB gelesen, in denen es u.a. heißt, dass dem Veranstalter bekannt ist, dass es sich um eine Amateurgruppe handelt und dass dies in der Werbung deutlich gemacht werden muss. theaterfreund71: "Damit sollte wohl klar sein, bei wem hier die schuld liegt."
"Der Veranstalter und "Produzent" (wobei mich interessieren würde, was sein Beitrag zu dieser Produktion war) ist laut seinem Anrufbeantworter im Urlaub. Wer daran glaubt ist doch selber schuld. Er hat grade so viele Veranstaltungen, dass er sich bestimmt keinen Urlaub erlauben kann (oder immer alle Leute nur ausnutzt und sich nicht selber sehen lässt)."

"Mir tut es leid um die jungen Leute, die eine gute Vorstellung abgeliefert haben - so schlecht wie viele es in der ersten (absolut berechtigten) Enttäuschung fand, war es nicht. Natürlich waren die Sänger keine Profis, aber Evita, Che und Magaldi waren gute Stimmen und schauspielerisch stark. Auch der Chor war kraftvoll, genau und gesanglich nah dran an einer Profiproduktion (allerdings schauspielerisch nicht so das ware). Das Bühnenbild war eher schlicht als wie versprochen pompös, dafür waren die Kostüme aber zumindst authentisch und mit liebe gemacht. (Naturgemäß gefällt mir dieser Teil am besten^^) Man hat ja gesehen, dass fast alle Zuschauer nach der Pause trotz strömendem Regen wiedergekommen sind und es gab auch Szenenapplaus. Das zeigt ja, dass nicht alles mies war, wie jetzt die sehr negativen Stimmen sagen. Beim scheußlichen "Phantom der Oper" vor vier Jahren oder "Schöne und das Biest" (als Disney beworben und irgendwas gespielt) war es nach der Pause ganz leer."

"Lumpazi" (von dem/der auch die zu Anfang genannte Kritik mit dem "Kreischen" stammt) empfiehlt theaterfreund71 allerdings einen Besuch beim Ohrenarzt.

"Picard96" schreibt: "laut neuestem Artikel der AZ lagen in Wetzlar die Preise für Karten bei 15 Euro (!), die Kritiken waren gut! (So unterschiedlich kann das doch nicht sein. Die Entrüstung und die schlechten Kritiken sind zum Großteil dem Veranstalter vorzuwerfen, der die Truppe nicht als Schülergruppe kenntlich gemacht hat! Man sollte schließlich alles einordnen können.)

Für eine Schülergruppe ... war die Leistung wirklich gut."


"BlueMorpheus" ist der Meinung: "Jeder verdient eine Chance, aber nicht wenn er grotenschlecht ist."

Möglich, dass er/sie mit "grotenschlecht" uns meint.




Es ist nicht unsere Schuld, dass die Zuschauer nicht richtig informiert wurden. Ich kann nur sagen: Mir tut es Leid, dass es so gelaufen ist.

Doch trotz aller Kritiken, die uns schlecht machen wollen: Die Stimmen, die uns verteidigen, sind lauter. Wir haben genug sachliche Kritik und reichlich Lob bekommen.



Wir alle machen Musical, weil es uns Spaß macht. Und wir sind gut dabei!

"Und was von mir die Spießer denken, das ist mir völlig egal!"

2 Kommentare:

  1. Dieser Artikel ist der bisher beste den ich gelesen habe :)

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  2. Danke :) Ich hab mir auch Mühe gegeben und mehrere Stunden daran gesessen.

    Vielleicht verirrt sich ja auch einer der Augsburger Zuschauer hierher, um mal die Perspektive zu wechseln.

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